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Niedersachsen Wahlen

Wahlbausteine zur Niedersachsenwahl 2022

Wahlbaustein Nr. 1

Als der deutsche Philosoph Immanuel Kant die Denkwelt mit seiner Umkehrung der Betrachtung revolutionierte, unter dem Begriff Kopernikanische Wende in der Philosophie als Epochenschritt gesehen, stand plötzlich alle Erkenntnis auf dem Prüfstand. Die Annahme, dass das Subjekt seine Wahrnehmung organisiert ist nicht nur psychologischer Natur. Der Handlungsvollzug beginnt im Denken und der Fähigkeit Fragen zu stellen. Spätestens hier können Sie aufhören zu lesen, wenn Sie es „gewohnt“ sind, ohne weitere Fragen Ihre Wahlentscheidung festgelegt zu treffen. Denn dieser wahlkampfbegleitende Diskurs wird mehr Fragen aufwerfen, als suggerierende Antworten bereitstellen.

Gegenwärtig konfrontieren uns die Parteien mit ihren Wahlkampfkonzepten. Allgegenwärtig Gesichter und Gestalten, die uns glauben lassen sollen, persönlich angesprochen zu werden. Die Aussagen, wenn vorhanden, dann sehr knapp, teils provozierend, „Keine Zeit für Sprüche“…, lassen eigentlich nur Raum dem Betrachter Sympathien zu entlocken. Doch was soll ein Wähler dem zitierten Sprüchezitat neben einem Konterfei abgewinnen? Soll er ohne zu fragen seine Stimme einem visuellen Eindruck folgend abgeben? Viele Wähler tun dies und die Wahrscheinlichkeitsberechnung bei Wahlen zählt auf Gewohnheitsannahmen. Und gerade dieses Verhalten verleiht Politikern Macht. Wenn ich als Politiker davon ausgehe, dass ich auf Gewohnheitswähler hoffen kann, sollte ich nichts tun, was ein mir zugeordnetes Rollenbild stören könnte. Mit anderen Worten, ich sollte nicht meinen Kredit zerstören. Parteistrategen wissen, dass ein unbedachtes Wort nicht nur den Einzelkandidaten, sondern auch die Gesamtpartei schädigen kann. Die Devise der kommerziellen Wahlhelfer heißt daher, keine Fragen durch Einzelpolitiker beantworten lassen, nur vorbereitete Interviews von Spitzenpolitikern. So kommt es, dass wir auf der unteren Ebene der Politikerhirarchie nur süße Worte, bzw. schöne Bilder finden. Wenn hier was schief laufen würde, wäre es schlecht wieder mit der Parteiräson einzufangen und könnte Stimmen kosten.

Also halten wir fest: Wahlkampf ist eine Aktion, die von der Spitze gesteuert wird.

Argumentationshilfen für den Straßenwahlkampf, den fast alle Parteien ihren Kandidaten an die Hand geben, stellen Textbausteine dar um eine Einheitlichkeit zu vermitteln. Bestenfalls kann man das als ein Hintenanstellen des Kandidaten hinter das vorgegebene Programm sehen. Kommunikation zwischen Wähler und Kandidat kann so nur als Werbung auf ein vorgegebenes Argument angesehen werden. Die Dynamik unterscheidet sich dann nicht mehr von einem Verkaufsgespräch.

Es ist klar, das dieser Mechanismus störanfällig ist. Insbesondere, wenn Journalisten sich nicht auf das vorgegebene Aussagenschema beschränken wollen und tatsächlich Fragen stellen, die kritischer Natur sind. Dies weiß man in den Beratungsstäben und versucht dem aus dem Weg zu gehen. Man betreibt Verkündungsjournalismus und selektiert seine Ansprechpartner. Kommt es dann zu einer Begegnung versucht man gerne eine Veröffentlichung von einer Freigabe abhängig zu machen. Selbstsprechend, dass dies keine Option für einen freien Journalisten darstellt.

Nun läßt sich bei Wahlergebnissen vermehrt eine Tendenz zur Wechselwahl feststellen. Wir sehen dies auch daran, dass Parteien heute damit rechnen müssen, keine Alleinvertretung im Parlament zu finden. Die politische Übereinkunft, die stets neu zu finden ist, ist ein Ausdruck wachsenden Selbstbewußtseins von Wählern, die sich als homo politicus begreifen und politische Vasallentreue der Vergangenheit ablehnen. Im Wechsel liegt die Macht und das „Teile und herrsche“ geht heute nicht unbedingt von der politischen Elite aus, der Wähler beschränkt durch wechselndes Wahlverhalten den politischen Mißbrauch und gelassenes Nichthandeln der Regierenden.

Halten wir fest, am Anfang steht kein Programm und kein Gesicht. Am Anfang steht die Frage.

Die Frage von mir als Wähler formuliert. Vorgegebene Programmaussagen und verdummende Schlagworte sind hinderlich auf dem Weg meiner politischen Willensbildung. Ich als Wähler formuliere die Frage und eine arrogante Nichtbeantwortung oder Abspeisung mit vorformulierten Textbausteinen sind Mißachtung meiner Souveränität. Damit wären erste Ausschlußkriterien für die Wahlentscheidung festgelegt.

Als Wähler habe ich das Recht Transparenz von Parteien einzufordern.

Zwingen Sie Ihren Kandidaten ins persönliche Gespräch und achten Sie darauf, ob er in der Lage ist, konkret und nicht vage auf Ihre Fragen zu antworten.

In den weiteren Wahlbausteinen werden wir uns in diesem Sinne mit einzelnen Parteien beschäftigen. Harte Zeiten vor uns zwingen zur Klarheit und Entscheidung. Nichtentscheiden heißt Unterordnung, strategisch Wählen ist ein Akt der Klugheit.

(stk.)