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Weiter mit Atomenergie?

Das Umweltinstitut München nimmt zu den jüngsten Entscheidungen der Regierung zur Kernkraftnutzung Stellung. Hier der Bericht, den wir hier wegen seiner Aktualität voll wiedergeben.

Nach Vorstellung der Ergebnisse des „zweiten Stresstests“ für die Stromversorgung im Winter 2022/2023 haben die Netzbetreiber verschiedene Szenarien für Energieknappheit sowie Maßnahmen zur Stabilisierung der Netze vorgestellt. Die Schlussfolgerung für den Wirtschaftsminister: Die beiden süddeutschen Atomkraftwerke (AKW) Neckarwestheim 2 und Isar 2 sollen Ende 2022 wie geplant abgeschaltet werden, jedoch bis April 2023 in Reserve gehen. Sollte der Atomstrom dann tatsächlich notwendig für die Versorgungssicherheit sein, könnten sie mit rund einer Woche Vorlauf hochgefahren werden.

Was bringt eine Weiternutzung der Atomkraft?

Die Netzbetreiber stellten drei Szenarien mit zunehmender Verschärfung von möglichen Versorgungsengpässen vor. Dabei wurden Faktoren aus In- und Ausland berücksichtigt, wie etwa der aktuelle Ausfall rund der Hälfte der französischen Atomkraftwerke. Das mittlere Szenario (++) der Netzbetreiber ergab, dass ein Streckbetrieb der Atomkraftwerke im Inland 0,9 Terawatt (TW) und im europäischen Ausland 1,5 Terawatt Strom aus Gaskraftwerken ersetzen können. Damit würden nur ein Promille des deutschen Gasverbrauchs von jährlich rund 998 Terawattstunden (TWh) Erdgas eingespart werden. Auf diesen geringen Nutzen will das Wirtschaftsministerium weitestgehend verzichten, indem die AKW lediglich in eine Notreserve gehen.

Die Netzbetreiber analysierten auch, in welchem Maße sie mit einem sogenannten „Redispatch“ zur Netzstabilisierung in den Strommarkt eingreifen müssen, indem sie Kraftwerke anweisen die Produktion zu drosseln oder erhöhen. Im selben Szenario (++) sinkt das Redispatch-Potenzial im Ausland durch den Streckbetrieb der Kernkraftwerke von 5,1 Gigawatt (GW) um 0,5 GW auf 4,6 GW. Sollten Netzengpässe absehbar sein, könnten die Atomkraftwerke hier also geringfügig entlasten. Restliche Netzengpässe müssten im Ernstfall ohnehin über andere Mittel, wie Einsparungen oder der zeitlichen Verschiebung von Lasten behoben werden. Weit hinten in der Liste der Maßnahmen zur Verhinderung von Stromausfällen sehen die Netzbetreiber das vorübergehende (unfreiwillige) Abschalten von Großverbrauchern.

Was sind die Risiken der Weiternutzung der Atomkraft?

Der Nutzen einer AKW-Notreserve ist gering und steht in keinem Verhältnis zum Risiko. Bild Jörg Farys | Umweltinstitut

Bild Jörg Farys / Umweltinstitut

Der Betrieb der Atomwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 ist bereits jetzt mit unkalkulierbaren Risiken verbunden ist. Die überalterten Reaktoren waren über Jahrzehnte Neutronenbeschuss, großer Hitze und hohem Druck ausgesetzt. Nach mehr als 30 Jahren Betrieb ist mit Materialermüdung, Verschleiß, Korrosion und Spannungsrissen zu rechnen. Die letzte Sicherheitsüberprüfung der Reaktoren gab es im Jahr 2009 und sie wurde nach einem veralteten Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt. Bei einem weiteren Betrieb steigt das Risiko durch unentdeckte Schäden von Tag zu Tag. Keines der Atomkraftwerke hält zudem einem gezielten Anschlag oder dem Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs stand. Aus diesen Sicherheitsgründen müssten diese Atomkraftwerke eigentlich schon heute abgeschaltet werden.

Ist die AKW-Notreserve sinnvoll?

Das Wirtschaftsministerium hat mit der Einführung einer AKW-Leistungsreserve eine Abwägung getroffen: Nur wenn die AKW wirklich für die Netzstabilität gebraucht werden, sollen die Sicherheitsrisiken der AKW Isar2 und Neckarwestheim 2 in Kauf genommen werden. Dies mag nach einer klugen politischen Abwägung klingen. Immerhin ist einer Laufzeitverlängerung mit Beschaffung neuer Brennelemente eine klare Absage erteilt worden. Neben den Sicherheitsdefiziten ist jedoch der juristische, finanzielle und politische Aufwand für eine AKW-Notreserve enorm. Diese Ressourcen sollten besser in Energiesparmaßnahmen, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die sozial gerechte Ausgestaltung der Energiekrise fließen. Zudem bleibt mit der Frage, wann genau die AKW denn nun wirklich gebraucht werden, die Atomdebatte unnötig länger offen. Es ist offensichtlich, dass die Spitzen von CDU/CSU und FDP mit dem Hochjubeln der Atomkraft als Lösung vom eigenen energiepolitischen Versagen ablenken wollen. Für ein Ende dieser Scheindebatte um Atomkraft in Deutschland hätten wir uns eine rote Linie gewünscht: keinen Tag länger Atomkraft. So bleibt also lediglich zu hoffen, dass Merz, Söder, Lindner und Co. endlich ihre Blockadehaltung aufgeben. Denn gerade jetzt müssen wir die Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien mit aller Kraft voranbringen, und zwar „auch im Süden der Republik“, so Habeck am Montag.“

Titelfoto: AKW Lingen, Hans-Joachim Steinsiek

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Energie Politik Umweltschutz Wirtschaft

Proteste gegen 32 Jahre alten Atom-Reaktors Lingen 2 („Emsland“)


In einer Pressemeldung vom 30. 6. 2020 wenden sich Umweltverb ände gegen Aussagen von RWE-Chef Schmitz über die Zukunft des Atomkraftwerkes Lingen:

Die Anti-Atomkraft-Initiativen aus dem Emsland, der Grafschaft Bentheim und dem Münsterland sowie der Bundesverband BürgerinitiativenUmweltschutz (BBU) kritisieren scharf die Aussagen von RWE-Chef Rolf-Martin Schmitz während der RWE-Hauptversammlung am vergangenen Freitag in Essen. Der RWE-Chef hatte auf Fragen des Dachverbands Kritischer AktionärInnen u. a. geantwortet, dass er eine Abschaltung des 32 Jahre alten Atom-Reaktors Lingen 2 („Emsland“) vor dem letzten gesetzlich möglichen Datum, dem 31. Dezember 2022, ablehne. Dabei machte er aus einer Kann-Bestimmung im Atomgesetz eine angebliche Verpflichtung
von RWE zum Weiterbetrieb bis Ende 2022. Damit lehnt der RWE-Chef auch eine Förderung der Energiewende durch eine frühere AKW-Stilllegung ab.

In ihren Befürchtungen bestätigt wurden die Anti-Atomkraft-Initiativendurch die Aussage von Schmitz, RWE habe bei der AKW-Revision im Mai trotz erneut entdeckter „Wanddickenschwächungen“ tatsächlich nur „4561 Prüfungen von Heizrohren“ in den vier Dampferzeugern vorgenommen. Bei insgesamt rund 16 500 Heizrohren macht dies gerade einmal einen Umfang von etwas mehr als 25% aus. Die Initiativen hatten gefordert, dass aus Sicherheitsgründen sämtliche Heizrohre überprüft werden müssten, nachdem schon in 2019 zwei Wanddickenschwächungen aufgetreten waren, die zu gravierenden Rissen und Löchern führen können.

Zudem bestätigte der RWE-Chef, dass die Probleme an den Heizrohren dieselbe Ursache hätten wie im AKW Neckarwestheim. In Lingen sei die Ausprägung aber „deutlich geringer“, Nachprüfungen für das AKW Lingen lehnte er jedoch ab. In Neckarwestheim hingegen werden vom Betreiber alle Heizrohre überprüft.

Sehr unerfreulich ist auch die Aussage von RWE-Chef Schmitz, dass bei der nächsten AKW-Revision in 2021 nochmal 52 neue Brennelemente eingesetzt werden sollen. Dadurch wird noch mehr Atommüll anfallen.

„RWE verspielt mit den jetzigen Aussagen und Ankündigungen des
Vorstandsvorsitzenden Schmitz eine weitere Chance, sich in punkto
AKW-Sicherheit und Energiewende vom alten Kurs abzusetzen. Keine frühere Stilllegung, stattdessen neue Brennelemente und eine Corona-Revision „light“ bei den sicherheitstechnisch extrem relevanten Heizrohren im Primärkreislauf – RWE stellt leider den Betriebsgewinn weiter vor die Sicherheit der Bevölkerung. Wir fordern die sofortige Stilllegung des alternden Atomkraftwerks im Emsland,“ so Alexander Vent vom Bündnis AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland.

Alle Städte in der Region, wie z. B. Münster, müssen nur wegen des
Atomkraftwerks in Lingen und seiner Altersprobleme massenhaft
Jodtabletten für die Bevölkerung vorhalten. Der RWE-Chef bestätigte am Freitag in Essen, dass sich RWE an den Kosten dafür nicht beteiligt. Ein verantwortungsvoller Konzern würde eine solche Gefahrenlage gar nicht erst schaffen. Das Atomzeitalter geht auch für RWE und das Emsland zu Ende. Deshalb sollte RWE es nicht erst zum Störfall kommen lassen und sich jetzt von der Atomenergie verabschieden,“ ergänzte Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen.

Hinter dem Protest stehen folgende Initiativen:
·Bündnis AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland
·Elternverein Restrisiko Emsland
·Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen
·Arbeitskreis Umwelt (AKU) Schüttorf
·SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster
·Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU)

(ü. Pm. BBU)
Foto: Protestaktion in Lingen gegen das AKW Lingen 2 und RWE, 25.06.2020