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Dornum

9. November 1938 in Dornum

9. November 1938

von Georg Murra-Regner

  1. Sie hatten doch so manchen Tag

hier in Dornum zugebracht

und gebaut das Gotteshaus,

wo sie gläubig gingen ein und aus.

Es wurde zerstört in der Novembernacht,

die den Juden das Unglück hat gebracht.

  1. Es war die furchtbare dunkle Nacht,

als der Nebel dicht überm Boden lag.

Viele Juden haben diese Nacht

in Angst und Schrecken zugebracht.

  1. Es war Geklirr und schmerzliches Weinen

von Menschen, die nicht konnten begreifen,

was in dieser Nacht noch sollte geschehn,

ob sie lebend sich wiedersehn.

  1. Sie wurden missachtet und vertrieben,

von ihnen ist keiner unbehelligt geblieben.

Sie wurden aus ihren Häusern gezerrt

und in Norden in Viehställe gesperrt.

  1. Von weitem sahen sie schon:

Die Thorarollen brannten schon.

Das hat die Täter noch stolzer gemacht,

sie haben voller Übermut weitergemacht.

  1. Plakate hingen überall an der Wand:

Wir wollen keine Juden mehr im Land.

Auf den Schaufenstern war von übler Hand

der gelbe Davidstern gemalt.

An den Häusern stand geschrieben:

„Juden raus aus unserem Land,

wandert nach Amerika aus!“

  1. Von den Kindern verstand‘s nicht Einer:

„Juden raus, hier will euch keiner!“

Die Kinder lasen voller Schreck

an ihrer Schulwand

„Juda verreck!“

Sie waren von Eltern so erzogen,

das Land zu lieben, in dem sie geboren.

  1. Juden wurd‘s verboten, in die Schule zu gehn

und ihre nichtjüdischen Freunde zu sehn.

Für viele Lehrer war es unangenehm,

jüdische Kinder

neben nichtjüdischen sitzen zu sehn.

  1. Das Lachen der Kinder ging verloren,

über Nacht waren sie erwachsen geworden.

Die Gesichter waren von Angst entsetzt,

nur Hass und Gewalt waren noch Gesetz.

  1. Die Synagogen wurden geschändet

und abgebrannt,

einige haben sich schämend abgewandt:

Andere zerstörten voller Spott und Hohn,

weiter im Land – Gottes Heiligtum.

  1. Jüdische Männer trugen vor sich her

das Eiserne Kreuz vom deutschen Heer.

Ihre Söhne waren gefallen in Feindesland,

für Kaiser, Volk und deutsches Vaterland.

  1. Sie liegen begraben in Frankreichs Erde,

auf ihren Gräbern steht: Für deutsche Ehre.

Es war vergessen seit dieser Nacht,

was sie für‘s Vaterland hatten vollbracht.

  1. Sie wurden vertrieben aus diesem Land,

Mütter und Väter mit Kindern an der Hand.

Sie emigrierten in ein anderes Land,

unbeachtet und von niemandem gekannt.

Die Verachteten, die in Deutschland geblieben,

wurden in Ghettos und Todeslager getrieben.

Nur wenige sind am Leben geblieben.

  1. Wussten die Täter nicht, was sie taten,

als sie ihre Nachbarn haben verraten.

Doch zu nennen sind noch die Namen,

die sie damals von hier vertrieben haben.

  1. Sie haben sie geschlagen und betrogen,

keiner wurde zur Verantwortung gezogen.

Sie lebten danach als ehrbare Bürger wieder,

sie wurden Ärzte, Politiker und Erzieher.

  1. Es ist doch besser, wenn man sagen kann,

dass im Leben nichts geschehen,

damit man in Ruhe sterben kann.

Wird ihnen nach dem irdischen Leben,

vom Ewigen die Schuld vergeben?

  1. Hat man vergessen das weise Wort,

wer Krieg will mit seinem Fürsten,

der werfe sein Schwert nicht fort.

Wer aber suchet den Krieg zu vermeiden,

hält ihn in des Schwertes Scheide.

  1. Was ich höre, ist nicht geheuer,

nicht der Krieg, der Frieden ist teuer.

Aber nützt uns ein gewonnener Krieg,

wenn die Familie nicht mehr am Leben ist?

  1. Wurden nicht beachtet die wichtigen Werte,

die der Meister die Suchenden lehrte?

Dass der raue Stein nicht zu behauen ist,

wenn der „Große Baumeister“

nicht mit ihnen ist.

  1. Am 9. November ist nicht Schuld zu erheben,

Gedenken heißt:

Nicht vergessen – sondern uns zu vergeben,

um in Frieden und Freiheit zu leben.

Darum lassen wir das Böse nicht geschehn:

Es wird Zeit, gegen Hass, Gewalt und Krieg

jetzt aufzustehn.