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Kommentar

Wenn Politik und Gruppenmeinung dem Wahn verfällt

Das der Wahn die Sicht auf die Realität trübt ist nicht allein ein Phänomen der Psychiatrie. Der Wahn kann alltäglich und sich auch in Gruppen zeigen. Jahrzehnte wähnte sich die Gesellschaft in einer politischen Hoffnung auf die rationale Lenkungskraft des politischen Fortschritts, weg von den Erfahrungen zweier Weltkriege, hin zu Regelungen internationaler Bündniskräfte. Ausgeblendet die Machtkonzentration in Händen von Psychopathen, nicht nur in fernen Regionen, sondern auch an der Spitze großer Nationen. Tyrannische Persönlichkeiten mit eigener destruktiver Logik, gespeist aus Emotionen und Rückgriff auf Glaubenspostulate, zum Teil aus religiösen Überzeugungen gespeist. Das Emotionen aber verhaltenssteuernd sind erleben wir heute auf großer Bühne. Schon der Philosoph Spinoza räumte der Emotion die gleiche Bedeutung wie dem Verstand zu.

Nun ein Jahr nach dem mörderischen Überfall Russlands, mit dem Ziel einen souveränen Staat auszulöschen, sind die Hoffnungen zerstoben. Wir erleben den Abwehrkampf einer Nation und den Mut der Verzweifelung. Die Lage der Ukraine zwingt zur Entscheidung und Neubestimmung. Verdrängung kann nicht gelingen, denn die Situation dieses Staates könnte auch zum Schicksal anderer Nationen werden. Bedrückend für all diejenigen, die die Freundschaft der Moskauer Diktatur recht kritiklos über Jahrzehnte gepflegt und gepredigt haben. Ein Kanzler heute, der posthum eine Erklärung für sein zauderndes Verhalten umdeuten muss als rationale Haltung im Dienste des Friedens, der bereits im Blut der Ukrainer versank. Hätte er sich doch an einen Vorgänger seiner Kanzlerschaft erinnert, der einst mit Pershing-Raketen eine klare Grenze zog. Helmut Schmidt kann heute nicht mehr befragt werden, aber sein derzeitig weiser Schluß, einer Aggression etwas entgegen zu setzen, hätte Lehre sein können. Nun muss eine neue Parteigeneration die Friedensphantasien auf reale Annahmen gründen lernen. Einer Partei, die in der Wählergunst sich so tief wiederfindet wie in ihrer ganzen Parteigeschichte nicht gekannt.

Bleiben die Realitätsverweigerer, die Glaubenskraft gegen die Realität beanspruchen wollen. Sie wenden sich nicht gegen den Aggressor sondern liefern Forderungen mit einem Verbrecher über den Willen einer Nation hinweg verhandeln zu wollen. Geschichtlich blind und jeder Problematisierung ihrer Ansichten abhold, ignorieren jede Lehre der Geschichte, die Zeugnis von der Vergeblichkeit mit einem kranken Despoten zu verhandeln gibt. Verhandlungen mit Hitler? Hätten sie uns die Freiheit gebracht? Hat Stalin uns befreit? Mitnichten, sein berechtigter Kampf um die Freiheit seines Landes hat nicht zur Freiheit aller betroffenen Nationen geführt. Freiheit wird nicht von Despoten installiert. Sinnlos ihnen irreale Zugeständnisse vor die Füße zu werfen.

Und die Kirchen? In Russland kriegstreibend und hier? Zögerlichkeit im klaren Urteil auch hier. Verurteilt ein Papst den Despoten? Protestantische Kirchenvertreter haben ihrerseits Probleme die Notwendigkeit von Waffen zu akzeptieren. Im Hitlerreich gab es bei ihnen reichlich Akzeptanz und Unterwerfung im Dienste der Nazis, Stichwort „Deutsche Christen“. Pazifisten und Frauenrechtlerinnen sollten sich auch darauf besinnen, dass sie ihre Überzeugung wohl kaum unter Despoten leben könnten. Hier erwartet man leider vergeblich die Klage über Putins Verbrechen, die nur auf der Anklagebank in Den Haag verhandelt werden dürfen.

Wie wird es weitergehen? Niemand kann das voraussehen, aber die Verantwortung für alles praktische Handeln sollte rationalen Fragen unterworfen werden. Und moralisch kann nur die Forderung nach beständiger Freiheit der Ukrainer in ihrem gesamten Land sein. So schwer uns die Bilder des täglichen Grauens aus der bequemen Sesselperspektive der Distanz erträglich sind.

Dornum, 24. 2. 2023 (stk)



		
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Kommentar Politik

Wenn der Knecht den Karren des Herrn steuern muss

Die Bundes-SPD in argen Nöten. Eine neue Identität soll den Mythos des Friedens ohne Waffen ersetzen

Olaf Scholz findet international und weitgehend auch national kein Verständnis für sein intransparentes und zögerliches Handeln. Für eine Partei, die im letzten Jahr allein 14000 Austritte zu verzeichnen hatte und allein nicht regierungsfähig ist, eine große Bürde. Stoisches Schweigen und Beharren kann viele Ursachen haben. Erinnerungslücken bei Ausschussbefragungen sind zum Schutze der eigenen Person erklärbar, auch Zögerlichkeit beim Eingeständnis von Eigenverschulden einer ganzen Politikerriege lassen sich logisch nachvollziehen. Den Kanzler ficht aber öffentliche und internationale Kritik nicht an. Da wo persönliche Erklärungen eben zur Führungsstärke gehören würde, begegnet der kritisch nachfragenden Journalistik nichtssagendes Grinsen. Schöne Bilder statt faktischer Begründung. Wer die Bilder und Reden des verstorbenen Ex-Kanzlers Schmidt im Sinne hat, kann aus dem Gegensatz zu Scholz nur mutmaßen, was Kanzlerschaft heute bedeuten würde. Einen Nato-Doppelbeschluß und die Installation von Pershings trugen derzeit viele junge Genossen nicht mit. Darunter auch jene, die heute in Ämtern gewählt sich nie ernsthaft mit den ethischen Fragen von Gewaltwillkür und Krieg auseinander gesetzt haben. Zuhause ist es halt gemütlich und für wirtschaftliche Gewinnoptimierung wurde jeder zweifelnde Ansatz beiseite geschoben. Die Generation der sozialdemokratischen Nachkriegstheoretiker waren konfrontiert mit der philosophischen Ansicht eines Karl Jaspers, zwar oft als bürgerlicher Oldenburger diskreditiert, aber an seinem Buch, „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen“, kam kein Disputant vorbei. Ein Buch, das auch heute noch jedem zweifelnden Politiker empfohlen werden kann. Die von Jaspers aufgeworfenen Fragen sind offenbar zeitlos aktuell.

Der heute von jungen Sozialdemokraten als Vorbild herangezogene Willy Brandt musste sich bereits in jungen Jahren als Soldat des norwegischen Untergrundes gegen den Faschismus engagieren. Sein Berliner Hilferuf an die Alliierten stammt aber aus einer anderen Zeit und einem anderen Kontext. Brandt zunächst als Bürgermeister und später als Kanzler musste sich rückversichern. Von einem heutigen Kanzler in Deutschland wird aber von allen Alliierten Führungsstärke erwartet. Zur Führungsstärke gehört aber das klare und transparente argumentative Vertreten des einzuschlagenden Weges.

Nach dem Dilemma seiner bisherigen Verteidigungsministerin, fand der Rückgriff auf Boris Pistorius statt. Psychisch ein gegensätzlicher Personentyp, der bisher durch spontanes Anpacken und Bundeswehrerfahrung beschrieben wird. Seine Aufgabe war mit dem ersten Tag eine dreifache. Erstens das miserable Erscheinungsbild der Kanzlerschaft zu korrigieren, zweitens den miserablen Zustand der Bundeswehr zu kommunizieren und drittens das entstandene Misstrauen international und national anzugehen.

„Ich kenne kein Junktim“ war der erste Befreiungsschlag, womit der Kanzler aus der Schusslinie genommen werden sollte. Zurück auf Null, wir werden alles mit unseren Verbündeten besprechen.

Akt zwei, wir halten alles offen, zunächst schauen wir mal in die Reservatenkammer und zählen….

Eine Liste, die er nun präsentieren wollte, existiert peinlicherweise schon, der Spiegel konnte das belegen, möglicherweise die erste fakenews des neuen Verteidigungsministers. Könnte als Notlüge interpretiert werden, denn das Ergebnis des Kassensturzes ist mehr als blamabel. Sollte Pistorius in Kenntnis der Zahlen die bereits vertraulich seinen Partnern in Ramstein mitgeteilt haben, wovon auszugehen ist, gab es zwei Stellungnahmen, eine innere und eine vertröstende fürs Volk.

Nun steht Scholz international isoliert da und das Ausland will schwere Waffen, eben auch Leopard 2, an die Ukraine liefern. Ein schwieriger Stand für alle Parteisoldaten, die sich an der Umdeutung von Begriffen offenbaren müssen.

Derweil ist die Nachwuchsmannschaft der SPD mit ihrem Vorsitzenden auf Selbstfindungskurs. Dieser musste am 22. 1. im Deutschlandfunk das Dilemma eingestehen, ebenso wie die Tatsache, sich in der personalen Vergötterung der zuvor vertretenen Politikergeneration getäuscht zu haben. Gleichzeitig das Versagen der zurückgetretenen Verteidigungsministerein einer unerbittlich nachhakenden Presse anzulasten offenbart wiederum politisches Grundverständnis. In der Tat ist es die Aufgabe der Presse jeder Legendenbildung entgegenzuteten.

Heute erwartet das Ausland und die Verbündeten mit Recht eine erwachsenengemäße Entscheidungsfähigkeit. Hier findet der SPD-Nachwuchs leider keine prägenden Gestalten mehr. Es sei denn, in den Geschichtsbüchern.

Hans-Joachim Steinsiek, 22. 1. 2023

Dornum

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Kommentar Wahlen

Eine Wahl mit mit vielen Abwägungen

Ein Kommentar zur Kommunalwahl in Niedersachsen

von Hans-Joachim Steinsiek, Dornum

Nun steht die Kommunalwahl in NS vor der Endentscheidung. In etlichen Gemeinden werden am kommenden Sonntag die Stichwahlen im Schatten der Bundestagswahl stattfinden. Abschluß eines Ringens um die kommunale Hoheit, bei der vielfach seitens der Parteien auf Gewohnheitswähler geschielt wurde. Vor allen in den Bereichen, wo wenig politisches Protestpotential zu erwarten war, gab es einen allenfalls als langweilig zu beschreibenden Wahlkampf. Wenig Sachaussagen, populäre Beschwörung der Heimatscholle und aus den Wahlkampfzentralen gespeister Plakatwahlkampf, auf dem die Köpfe geradezu austauschbar erscheinen. Nachfrage eher unerwünscht, ein reiner Verkündungswahlkampf, der lediglich in bestellten Runden die üblichen Fotos produzierte, um die Hoheit in den lokalen Printausgaben zu wahren. Eine Interviewanfrage bei MdB Johann Saathoff, SPD, konnte man sich eigentlich sparen, sein Wahlkampfbüro schirmte ihn schon im Vorfeld vor jeder möglicherweise kritischen Rückfrage ab, nach Verweigerung eines schriftlich vorzulegenden Fragekatalogs, ein Unding für einen redlichen Journalisten, schließt man „aus Termingründen“ die Kommunikation. Eher System, dem dann bis zur Bürgermeisterkandidatenebene nachgeeifert wird. Bloß keine bösen Schlagzeilen bekommen, eher verweigern und hoffen. Schöne Bilder mit Oma Erna beim Kaffeeplausch sind eben risikoloser als eine kritische journalistische Befragung. Warum soll der Bürger eigentlich eine Partei wählen, die sich nicht von unabhängigen Journalisten befragen lässt. Großes Kino und Spektakel vor TV-Runden sind häufig nur billiges Unterhaltungsmaterial. Nun die Ergebnisse dürften spiegeln, dass der bundespolitische Absturz der Großparteien etwas mit Politikverdrossenheit zu tun hat, dem Hoffen auf „Weiter so..“, was insbesondere jüngere Wähler nicht mehr bereit sind zu akzeptieren. Parteien feiern heute bereits Tendenzen dort, wo einst satte Mehrheiten einzufahren waren. Im Ergebnis werden politische Themen vermehrt über Gerichte, Privatklagen und überregionale Gruppierungen angegangen und entschieden. Indirekt werden die Kommunen in den kommenden Jahren stärker als zuvor von der Bundespolitik abhängig sein, denn notwendige Veränderungen und Strukturmaßnahmen jenseits von Länder- oder Bundeszuweisungen sind kaum denkbar. Bei den Gemeinden droht Stillstand und weitere Verschuldung. Dies scheinen vermehrt Bürger zu spüren, die sich in Kommunen resignativ der Wahl enthalten und fatalistisch der weiteren Entwicklung zusehen. Insoweit sind die ehemals starken Großparteien auch in der Kommunalebene die Verlierer. Ohne Bündnisse ist auch hier keine Politik mehr durchsetzbar. Weg von Programmen, hin zur zufälligen Personenwahl, der politische Weitblick ist abhanden gekommen.

skt, 24. 9. 2021

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Dornum Kommentar Kommunalpolitik

Wenn dem Bürger die Selbstbestimmung genommen wird.

Dornum, eine kleine Gemeinde an der Nordseeküste, südlich von Baltrum gelegen, trägt gern den schmückenden Beinamen „Herrlichkeit“. Ein Begriff, der historisch verstanden werden muß und weniger als Attribut taugt. Die Bewertung darf da recht unterschiedlich ausfallen, denn Einheimische und Touristen haben andere Wertmaßstäbe. Dornum besteht heute aus vielen eingemeindeten Kleinortschaften, zu denen auch Neßmersiel gehört. Ein Hafenortmit der touristischen Ausgangsbasis zur vorgelagerten Insel Baltrum. Eigentlich eine touristisch ausgerichtete Gegend mit viel Acker- und Viehwirtschaft, im touristischen Preisindex keine billige Kategorie, zumal der Tourismus hier im Normalfall auf eine jahrelang treue Bestandskundschaft hoffen kann. Corona hat hier aber auch die Maßstäbe verändert und mancher der hier ansässigen Gewerbetreibenden muß durchaus um seine Existenz fürchten. Nicht selten wurden in guter Zeit langfristige Verbindlichkeiten aufgenommen, die auch heute noch bedient werden wollen. Die Situation der hier wohnenden Privatleute ist ebenfalls nicht immer von sattsamer Genügsamkeit und sicherer Zukunftsperspektive. Das alles macht Angst und im Kontext des politischen Theaters vor Ort wäre Neßmersiel im Augenblick der Microkosmos für Soziologen und Politologen. Politikverdrossenheit und Verlust von Vertrauen in das gesellschaftliche Gefüge, alles lässt sich hier in der Klarheit eines Brennglases studieren.
Die zugrunde liegende Geschichte lässt sich einfach umreißen. Eine Dorfstraße, deren Zustand nicht gut, aber wohl sicher noch einige Jahre mit kleineren Reparaturen erhalten bleiben könnte soll nach dem Willen von Touristikern aufgehübscht werden und als „Bewegte Dorfstraße“ dem Ort eine neue Identität verleihen. Der Begriff ist einer der inhaltslosen Konstrukte, die gern zur Abhebung von substanzbeschreibender Bezeichnung gewählt werden. Das Banale erfährt eine Aufwertung durch den Schein eines fiktiven Begriffes. Inhaltlich sollen alle Verkehrsteilnehmer ihren Platz finden und das Kind einen neuen Namen tragen. Planungsstudien kosten Geld und auch aus dem öffentlichen Raum sind überregionale Geldtöpfe verlockend. „Jetzt zugreifen oder nie…“, die infantile Habenstruktur wird argumentativ von den Befürwortern mit Drohungen untermalt. Wenn nicht jetzt zugegriffen wird, werden zukünftige Kosten höher ausfallen und alle Zukunftschancen auf Förderungen zerschlagen sich, tönen die Akteure. Am Ende blieben aber 386000 Euro, die von 76 Anliegern zu tragen wären. Die an einer Umsetzung interessierte Tourismus GmbH lockt mit einem Eigenanteil von vagen 100000 Euro die verängstigten Bürger zum Sprung. Aber die bekannten Fakten und Zahlen, neben den Kosten wäre auch ca. 15 Monate Bauarbeit belastend, können die Bürger nicht umstimmen. Sie entscheiden im Ortsgemeinderat mit einer klaren Mehrheit gegen das Projekt. Wäre Neßmersiel nicht zu Dornum eingemeindet, ein Votum mit Handlungsfolge. Das Projekt wäre erledigt und müßig noch die falsche logische Schlußweise zu betonen, denn wer kann zu einem gültigen Schluß kommen, wenn er auf fiktive Annahmen aufbaut. 1. Semester Logik und der Eintritt in die Betrachtungsweise, wie kommunale Entscheidungen interessegeleitet durchgepeitscht werden. Wer kann heute aussagen, ob es zuküftig finanzielle Töpfe des Landes geben wird um die Dorfstrukturen und Landgemeinden zu fördern? Wer kann heute etwas über die Kosten für Bau und Arbeit in 5-6 Jahren sagen? Alles fiktive Annahmen und aus denen lässt sich kein wahrer Schluß ableiten.
Nun ist Neßmersiel nicht unabhängig, wenngleich mittlerweilen schon spekuliert wird, ob eine Ausgemeindung, oder der Klageweg Möglichkeiten aufzeigt, und die Entscheidung wurde in Dornum gefällt.
Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie und bekanntlich sind Abgeordnete in ihrem Urteil frei. Wenn das Land in den Krieg zieht, haben die Dörfer zu folgen…, doch was mit Ironie dahingesagt ist auch bitterer Ernst dann, wenn Existenzen bedroht werden. Der Gemeinderat in Dornum entschied zuungunsten von Neßmersiel. Sieben Ja-Stimmen gaben den Ausschlag gegen fünf Gegenstimmen und einer Enthaltung. Wütende Zuschauer verlassen die Turnhalle und rufen der Presse zu, „das soll Demokratie sein?“. Ja, so kann Demokratie sein. Aber, der Bürger hat die Wahl, die Akteure auszutauschen. Denn nicht nur fachlich und logisch darf man Zweifel haben, ob hier Interessen im Sinne der Bürger umgesetzt wurden, auch moralisch trotz aller geäußerter Bedenken und Versuche sich ja von dem scheinbar Unabwendbaren zu distanzieren, ist das Versagen nicht unter den Teppich zu kehren. Eine Randglosse, der Bürgermeister fordert uns auf, einen aufgezeichneten Redebeitrag eines Ratsherrn, der in sehr abgewogener Weise den Grundkonflikt im Rat schildert, nicht zu veröffentlichen und „die Aufnahme zu löschen…!“. Er überschätzt damit wohl seine Kompetenz, wenngleich er formal darauf bestehen kann, dass eine Aufnahme im Ratsverlauf noch nicht genehmigt wurde. Nun, der Beitrag ist nicht verloren und kann in Kürze in voller Länge nachgelesen werden. Redenachschriften sind außerhalb von Bürgermeisterwollen unantastbar.
Welche Möglichkeiten haben Bürger denn nun nach dem Eklat? Im Wahljahr sind die Chancen gut dauerhafte Veränderungen zu schaffen. Gegen den Bürgermeister, gegen den vermehrt negative Stimmen wahrzunehmen sind, haben sich zwei weitere Kandidaten im diesjährigen Wahlgang aufgestellt. Die SPD schickt einen Kandidaten ins Rennen, dessen bisher bekannte Biografie zwar keine Verwaltungskompetenz aufweist und der sich bei uns auf Befragen zu einem Vorstellungsinterview abweisend verhält, sich aber mit Agenturfilmchen und jugendlichen Wunschprojekten, „Jugendparlament“ in den sozialen Medien präsentiert. Dann ein langjähriger Polizeibeamter, parteilos, der mit Ortskenntnis und Berufserfahrung bei Bundes-, Landeskriminalamt bis zur Rolle des „Ortssheriffs“ in der Gemeinde Dornum die Probleme der Örtlichkeit sehr genau kennt. Ursprünglich Westfale und mit beharrlichem Durchsetzungswillen ausgestattet hat er Transparenz und Miteinander unter das Motto „Unser Dorf besser machen!“ gestellt. Die Aussichten für ihn sind gut, denn die Parteienlandschaft des Ortes ist sehr breit gefächert und zudem die Ortssozialdemokratie diffus in herzlicher Abneigung zu beschreiben. Eine Ratsherrin der SPD, sie hatte die Rolle als Gleichstellungsbeauftragte mit Herzblut erfüllt, verließ die Partei zum 30. 6., bekannt wurde dies nachdem sie im Rat gegen das Straßenprojekt in Neßmersiel gestimmt hatte. Ein SPD-Ratsherr sprach sich öffentlich für den Bau aus.
Dornum liegt also vor einem spannenden Wahlkampf und Neßmersiel ist noch nicht verloren. Der Konflikt wird das Geschehen vor Ort jedenfalls transparenter machen und je nach Verlauf auch noch überregional Bekanntheit erlangen. Demokratie ist nicht, sie muß errungen werden, möchte man den enttäuschten Bürgern zurufen. Nur Transparenz kann Entscheidungen in Kungelrunden und Begehrlichkeiten von Interessengruppen im Zaume halten. Dornum steht jedenfalls im Blickfeld, auch der Medien.

(stk, 4. 7. 2021)

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Kommentar Wahlen

Sachsen-Anhalt ist nicht verloren

Es war eine Wahl mit ungewissem Ausgang. Etwas resigniert fürchteten die Altparteien das Ergebnis. Würde der Wähler sich in die Arme der Extremisten werfen? Ist überhaupt noch eine stabile demokratische Mitte zu finden? Die Überraschung zeigt einen politisch durchaus mündigen Bürger. Ministerpräsident Reiner Haseloff ging klar mit der Prämisse in den Wahlkampf keine Zusammenarbeit mit den politischen Rändern und der Bürger hat es ermöglicht. Haseloff hat nun die freie Wahl eine Koalition unterschiedlicher Struktur zu bilden. Enttäuschung nur dort, wo man überschwengliche Hoffnungen pflegte. SPD und Linke verloren in der Gunst der Wähler ebenso wie die Grünen ihr selbst gestecktes Ziel nicht erreichten. Besonders bitter für eine SPD, die mit einem eigenen Kanzlerkandidaten ein Lehrstück in Selbstwahrnehmung erlebte. Das schlechteste Ergebnis der Partei in diesem Land lässt sich nicht durch die falsche Behauptung schönreden, dass der Wähler taktisch eben zu Haseloff geschwenkt sei. Die SPD hat nicht mehr die Substanz eine Volkspartei zu sein, denn ihr Klientel hätte zur Verhinderung der Rechtsaußen gut die eigene Partei wählen können, da eine Koalition ohnehin denkbar war. Die vom Verfassungsschutz beobachtete AfD hat ihr Ziel ohnehin verfehlt, der Abstand zur CDU ist im Vergleich zu 2016 größer geworden. Haseloff hat gute Chancen noch durch die Vernunft ansprechbare Wähler der Randpartei langfristig wieder aufzufangen. Der Wiedereinzug der FDP ist nicht verwunderlich, Coronapolitik und Klientelpolitik ließen sich in Stimmen ummünzen. Für die SPD dürfte Magdeburg aber eine traurige Vergewisserung sein, dass mit alten Strategien und Anbiederungen zwar Posten für etablierte Politiker kurzfristig zu sichern sind, was den engagierten Wähler aber eher zur Abkehr bewegt. Ein Weiterso käme dem Untergang der Traditionspartei entgegen. Die Bundestagswahl im Herbst wird von der Selbstbestimmung der Parteien abhängen, politische Besitzstände werden in der modernen Gesellschaft keinen Platz mehr haben und Bundesthemen sind mit der kleinsten Kommunalproblematik genauso verbunden wie eine europäische Politik über Ländergrenzen hinaus. Längst werden Normen im europäischen Kontext gesetzt, wo Bund, Land und Kommune reaktiv den Kompass neu justieren müssen. Oft zum Wohle des individuellen Bürgers, der über die hergebrachten Parteistrukturen seinen Willen nur noch bedingt einbringen kann. Freuen darf sich das Land aber über den mündigen Bürger, der als Wechselwähler seine Freiheit demonstriert und jede Verfilzung in alten Parteistrukturen die Stirn bieten kann.

(stk.)